Hürden und Blockaden der Mehrwertsteuerreform in der EU (d'Wort 15/09/2006)

Harmonie ist schwierig

EU-Steuerkommissar Laszlo Kovacs sieht Chancen im Kampf gegen Betrüger


EU-Steuerkommissar Laszlo Kovacs verlangt eine verbesserte Kooperation der Behörden und Systemänderungen.
(FOTO: EU-KOMMISSION)

In der Europäischen Union gehen den Mitgliedstaaten jährlich 200 bis 250 Milliarden Euro an Geldern aus der Umsatzsteuer (auch Mehrwertsteuer genannt) verloren, weil Unternehmen den Fiskus betrogen haben. Laszlo Kovacs, Steuerkommissar der Europäischen Union, will den Betrügereien mit der Mehrwertsteuer einen Riegel vorschieben. Bei einer Veranstaltung des Arbeitskreises Wirtschaft am Donnerstag auf Schloss Berg in Nennig diskutierten Kovacs, der EU-Parlamentarier Jorgo Chatzimarkakis und Volker Giersch von der Industrie- und Handelskammer des Saarlandes.

Als 1993 der europäische Binnenmarkt geschaffen wurde, plädierte die EU-Kommission dafür, die Umsatzsteuer in dem Land einzutreiben, wo der Anbieter, bzw. Produzent von Dienstleistungen und Produkten seinen Sitz hatte. Die Mitgliedsländer waren wegen der teils stark verschiedenen Steuersätze dagegen, woraufhin das Bestimmungslandprinzip angewandt wurde: Die Steuer wird bis dato im Land des Empfängers bezahlt. Mit der Zeit stellte sich heraus, dass dieses System Schlupflöcher für Betrug bot, die den Staaten immer mehr zu schaffen machen. In Deutschland gehen deswegen laut Volker Giersch, Hauptgeschäftsführer der IHK in Saarbrücken, jährlich 15 Milliarden Euro am Fiskus vorbei.

Auch Luxemburg hat darunter zu leiden, dass Umsatzsteuerbetrüger mit absichtlichen Firmenpleiten ihr Geld am Finanzamt vorbeischmuggeln. Im Herbst 2005 flog in Deutschland ein internationaler Autohändlerring auf, der zum Schein auch über Luxemburger Firmen Nobel-Geländewagen kaufte, sie an andere weiter verkaufte und anschließend vom Markt verschwand, bevor die Mehrwertsteuer bezahlt wurde. Das Prinzip dieser als Umsatzsteuerkarussell bekannten Betrugsdelikte wird laut Kovacs noch zusätzlich erleichtert, weil der Informationsaustausch zwischen den Steuerbehörden der Mitgliedstaaten nicht selten drei bis vier Monate dauert. Doch dann ist es zu spät: Die betrügerischen Firmen sind schon pleite und können nicht mehr belangt werden.

Steuerkommissar Kovacs hat deshalb seit Mai nicht nur eine verbesserte Kooperation der Behörden forciert, sondern auch eine Reihe von Systemänderungen vorgeschlagen: Wenn die Mehrwertsteuer im Ursprungsland (Home- State-Taxation) erhoben würde, hätten die Steuerkarussells keine Chance mehr, sagt er. Auf Grund der unterschiedlichen Steuersätze in den Mitgliedstaaten schlägt Kovacs vor, die Einnahmen unter den beteiligten Ländern aufzuteilen, um Ungleichgewichte zu vermeiden.

Eine andere Möglichkeit wäre eine Umkehr der Steuerschuld (Reverse-Charge-Model). Danach müsste nicht mehr der Anbieter, sondern der Empfänger von Gütern oder Dienstleistungen die Mehrwertsteuer zahlen. Erst das letzte Unternehmen in einer Kette von Firmen müsste dann Umsatzsteuer an den Fiskus abführen. Dieses Modell sieht Kovacs aber mittlerweile nicht mehr als aussichtsreich an, da es höheren Verwaltungsaufwand bedeutet und außerdem der für Betriebe reizvolle Vorsteuerabzug wegfallen würde.

Als schwierig gestaltet sich das als Mehrwertsteuerpaket bekannte Reformvorhaben allerdings, da alle 25 EU-Länder im Finanzministerrat Ecofin dafür stimmen müssen. Jorgo Chatzimarkakis stellte sich daher bei der Diskussion in eine Reihe mit Kovacs und plädierte dafür, Mehrheiten zu finden, um ein vereinfachtes europäisches Steuersystem voranzutreiben. Doch auch jüngste Erfahrungen zeigen die unterschiedlichen Interessenslagen. Kovacs: „Als der Ecofin im Juni tagte, haben Deutschland, Luxemburg und Portugal dagegen gestimmt.“ Denn der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück hatte zuvor noch einen Vorschlag eingebracht, der Luxemburg und Portugal nicht passte, da beide niedrige Mehrwertsteuersätze haben.

Laut dem deutschen Vorschlag sollten elektronische Dienstleistungen (von Mobilfunk und Internet bis Fernsehen) künftig im Bestimmungsland und nicht mehr im Ursprungsland besteuert werden. Deutschland hingegen habe Bedenken gegen das geplante „Reverse- Charge-Model“, meinte Kovacs.

Beim nächsten Ecofin-Treffen im November rechnet der EUKommissar aber mit einem Kompromiss. „Ich bin sicher, dass wir noch vor Ende der finnischen Präsidentschaft zu einem Ende dieser Debatte finden werden“, sagte der Ungar gegenüber dem „Wort“. Dabei geht er davon aus, dass das Ursprungslandprinzip zur Erhebung der Mehrwertsteuer durchgesetzt werden kann.

VON ARNE LANGNER

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