Gespräch mit Enregistrement-Direktor Paul Bleser - „Immer loyal, aber nie unterworfen!“ (Tageblatt 25/02/2006)

Wir hatten unseren Gesprächspartner, der seit jeher für seine freie und offene Sprache bekannt ist, gleich zu Anfang unseres Gespräches, das wir am letzten Tag seiner Anwesenheit in der Verwaltung führten, darauf hingewiesen, dass wir lediglich ein ganzseitiges Zeitungsinterview mit Porträt von ihm aufzeichnen und kein Buch über ihn schreiben wollten.

Denn zweifellos sind in der 37-jährigen Berufskarriere (davon 15 als Enregistrement-Direktor) des Juristen Bleser, der nach seinem Abschied von der Verwaltung seine Aktivitäten als Anwalt wieder aufnehmen wird, genug Erfahrungen zusammen gekommen, um sie, wenn er denn Lust dazu verspüren sollte, zwischen zwei Buchdeckeln festzuhalten.

„Tageblatt”: Ehe wir einen Rückblick auf Ihre langjährige Berufskarriere werfen, wollen wir kurz in die Zukunft schauen. In Ihrem Alter freuen sich die meisten Arbeitnehmer auf den wohlverdienten Ruhestand. Sie hingegen wollen sich am 1. Juni wieder am Gerichtshof als Anwalt einschreiben. Haben Sie noch einige Hühnchen zu rupfen?

Paul Bleser
Paul Bleser: „Wenn Sie meinen, ich hätte aus meiner Karriere als Enregistrement-Direktor noch einige Leichen im Keller, dann haben Sie schon recht. Wenn Sie aber meinen, ich wolle in meiner zukünftigen Aktivität diese aufarbeiten, muss ich Sie enttäuschen.
Ich habe meiner Direktion - übrigens, und damit möchte ich mich auf diesem Weg bei deren Mitgliedern und allen engagierten Mitarbeitern bedanken, einer der besten im gesamten Staatsapparat - zugesagt, keine juristische Affäre für oder gegen die Einregistrierungsbehörde anzunehmen. Das ist für mich eine elementare Angelegenheit von Deontologie.”

„T”: Ist das auch eine der Voraussetzungen, um Enregistrement- Direktor zu werden? Wie kommt man eigentlich zu dieser doch nicht unwichtigen Funktion im Staat?

P. B.: „Auch wenn der Sinn für Deontologie per Gesetz festgeschrieben wäre, könnte man ihn nur schwer fixieren. Nein, der jeweiligen Regierung sind keine nennenswerten legislativen Hürden bei der Wahl meines Nachfolgers gelegt worden.
Schaut man sich natürlich die langjährige Geschichte dieser Verwaltung an, die dem Staat das meiste Geld eintreibt, so findet man seit Mitte des 19. Jahrhunderts mit hohen Richtern, Staatsanwälten und Politikern an ihrer Spitze fast ausschließlich Juristen.”

„T”: Nun ja, wenn man Politik als gelernten Beruf und nicht als öffentliches Mandat sieht. Doch erneut: Wie kamen Sie zu dieser Funktion?

P. B.: „Nun, ich wurde im Jahre 1972 als junger Beamte des Finanzministeriums in die Verwaltung delegiert und bis zu meiner Ernennung zum Direktor im Jahre 1991 mit den verschiedensten Aufgaben betreut.
Gerne erinnere ich mich an meine Arbeit in Brüssel, wo ich die Steuerinteressen Luxemburgs auf allen Ebenen vertrat.
Als mein Vorgänger Jules Pierret dann im Jahre 1991 unerwartet und leider viel zu früh verstarb, wurde meine Kandidatur unter mehreren positiv bewertet und vom damaligen und heutigen Finanzminister Jean- Claude Juncker logischerweise auch angenommen.” 

Keine Rückendeckung von den Politikern

„T”: Glauben Sie, Jean-Claude Juncker hätte diese Entscheidung in den 15 Jahren manchmal bereut?

P. B.: „Es ist sehr schwer für mich, die Einschätzung von Jean- Claude Juncker mir gegenüber zu beurteilen. Er war begeistert, als ich meinen Dienst antrat, doch mit der Zeit kühlte das Verhältnis ab. Ich glaube, auch er muss nach Ursachen suchen, warum er sich in verschiedenen Fällen nicht vor mich stellte.
Ich denke hier nicht so sehr an die bis zum Äußersten mediatisierten Affären Wolter und Reding, sondern eher an die von der Presse aufgeblasene Affäre der uns vorgeworfenen 'Schwarzen Kasse', die jedoch von einem, wenn auch uralten Gesetz, abgesichert ist.
Obwohl ich meinem obersten Dienstchef Juncker damals bestens dokumentieren konnte, dass die Verwaltung hier keinerlei Schuld traf, hat er sich bis heute nicht dazu durchringen können, sich auf meine Seite und die meiner Mitarbeiter zu schlagen.”

„T”: Sie fühlen sich also ungerecht behandelt?

P. B.: „Ja, denn ich habe meine Arbeit immer loyal absolviert. Ich war mir, auch wenn das vielen Zeitgenossen nicht in den Sinn käme, der hierarchischen Unterordnung stets bewusst, habe mich ihr aber nie blind unterworfen.”

„T”: Kurz zu den Affären Wolter- Roemen und Reding. Glauben Sie, die Berichterstattung wäre besser ausgefallen, wenn Sie die Presse informiert hätten, wie manche damals dachten und sicher auch heute noch annehmen?

P. B.: „Ich glaube nicht. Vielleicht wären Pannen wie die Benennung einer nicht gegebenen 'Steuerhinterziehung' ausgeblieben, doch hätte dies der Affäre sicher nicht die polemische Spitze abgeschlagen.”

„T”: ... polemisch?

P. B.: „Jawohl, den Minister hat ja auch nicht gestört, als Paul Bever am gleichen Tag des ersten Roemen-Artikels im 'Répu' den Fußballverband vor ähnlichen Abenteuern warnte und damit zeigte, dass auch er von der Steuerstrafe wusste. Mich stört in der ganzen Sache vor allem, und das sollte auch den so einseitig toleranten Gutmenschen zu denken geben, dass der Steuerzahler in dieser Affäre zweimal zur Kasse gebeten wurde.
Was die Affäre Reding betrifft, so hat mich vor allem die Tatsache erschüttert, dass die von der Regierung nach Brüssel mandatierte Politikerin eine öffentliche, mit europäischen Fahnen geschmückte Plattform dazu nutzte, um über eine Verwaltung herzufallen, die lediglich ihre gott-, pardon volksverdammte Pflicht tat.” 

„T”: Doch war es nicht immer so, dass man den Überbringer von schlechten Nachrichten, und dazu gehört ja notgedrungen jede Art von Finanzamt, gerne umbringt, um danach festzustellen, dass damit die Nachricht nicht vom Tisch ist. Glauben Sie, die Bürger würden sich ihrer Steuerpflicht lieber entledigen, wenn sie sicher wären, dass diese Gelder in ihrem Interesse besser angelegt würden?

P. B.: „Ich kann aus meiner langjährigen Erfahrung mit der indirekten Steuer heraus nur feststellen, dass es auf allen Ebenen in diesem Land einen ausgeprägten Sinn für Steuergerechtigkeit gibt.
Der Endverbraucher, der dem Geschäftsmann die Mehrwertsteuer zahlte, möchte auch, dass diese bei uns ankommt. Er misstraut zurecht den Firmen, die diese Steuer nicht abführen wollen, oder das berechnenderweise nur mit einiger Verspätung tun.
Jeder weiß, dass Steuern zu zahlen sind. Die Wut des kleinen Steuerzahlers, der als Lohnempfänger nur einen bedingten Einfluss auf seine Steuererklärung hat, kommt ja daher, dass es immer noch Arbeitgeber gibt, welche die von ihm eingezogene Lohnsteuer in die eigene Tasche stecken wollen.” 

„Spielen wir doch fair bei der Steuer!”

„T”: Sind es nicht vorrangig die „reichen” Gesellschaften, die sich solche Mätzchen mit der Steuer erlauben?

P. B.: „Nicht unbedingt, denn im Gegensatz zur direkten Steuer handelt es sich bei der Mehrwertsteuer um ein relativ transparentes Abgabesystem, hinter dem man sich nur schwer verstecken kann.
Beim Warenhandel hat sich dieses System bewährt, wo aber noch ein großes Problem besteht, ist bei den Dienstleistern, wo sich die pertinente Frage stellt, ob die Mehrwertsteuer überhaupt das geeignete Steuerinstrument ist.” 

„T”: Was wäre die Alternative?

P. B.: „Entweder einen niedrigen oder keinen indirekten Steuersatz einführen und den Rest über die direkte Steuer abzuwickeln. Doch wir wollen uns nichts vormachen, was uns nicht eh schon aus Brüssel vorgemacht wurde.
Bei der Mehrwertsteuer handelt es sich um eine Verbraucheroder Umsatzsteuer, je nachdem von welchem Standpunkt man sie sieht.
Unsere belgischen Nachbarn haben sich z.B. lange dagegen gestrebt, die Anwälte als so genannte Dienstleister diesem Steuerregime zu unterwerfen.”

„T”: Warum?

P. B.: „Da die Anwälte stets sehr glaubwürdig darauf plädierten, dass ihr Berufstand aber nun wirklich der letzte wäre, der dem Land einen Mehrwert brächte.
Doch Spaß beiseite: Ich mache dieser und den vorigen Regierungen den Vorwurf, es verschlafen zu haben, in Luxemburg eine solide Basis für eine interne Fiskalität zu legen.
Wenn nämlich Brüssel die bequemen Steuernischen eines nahen oder fernen Tages einmal ausgetrocknet hat, in denen Luxemburg sich bisher gemütlich einrichtete, dann werden uns große Teile des Manna fehlen, die unsere Nachbarn zum Budget beitragen.
Kein Wunder also, wenn nicht direkt betroffene EU-Mitglieder nur ein müdes Lächeln dafür übrig haben, dass der parasitäre Luxemburger Zug mit dem Übernahmeversuch der Arcelor nun endlich auch im Bahnhof der Globalisierung angekommen ist.” 

„T”: Was halten Sie davon, alle Steuereinnahmen zentral zu erfassen?

P. B.: „Auch wenn es auf den ersten Blick Sinn macht, finde ich die Frage, ob man einen monolithischen Block von direkten und indirekten Steuern sowie Katasteramt für diese Reform benötigt, zweitrangig und nicht gerade arbeitsplatzfördernd.
Ich für meinen Teil finde, dass unsere Verwaltung, auch ohne mich, eine derartige Kompetenz aufgebaut hat, dass es schade wäre, wenn die nun in einem großen Teich verwässert würde.
Außerdem weiß ich aus meiner langjährigen Erfahrung, dass es auch nicht im Interesse der Steuerzahler wäre, wenn ihre Daten zentralisiert würden.
Was wir tun müssten, ist, wie in den Vereinigten Staaten, viel disziplinierter mit der Steuer, der ersten Bürgerpflicht umgehen. Wer sich dieser Pflicht nicht stellt, macht sich strafbar.
Mit diesem 'Tax Fair Play' könnten wir dem Standort Luxemburg wettbewerbsfähige Steuersätze erhalten, ohne die parasitären Einnahmen auf Kosten der öffentlichen Hand unserer Nachbarn weiter zu nutzen.” 

„T”: Könnte das vielleicht eine Utopie sein?

P. B.: „Nun, die Utopien werden auch uns überleben.”

Carlo Kass 

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