"Enregistrement"-Direktor Paul Bleser: Mehrwertsteuerausfälle nicht unerwartet und vermeidbar
Dabei liefert das Papier eine Reihe von Erklärungen, die Enregistrement-Direktor Paul Bleser und "Enregistrement"-Sprecher Francis Sandt gestern anlässlich der 9. "Journée de la TVA" in Rümelingen der Presse zu erklären versuchten. Letztere bezog aber erst einmal wegen eines Leitartikels in der zweitdicksten Luxemburger Tageszeitung etwas Schelte, hatte der Autor Paul Bleser zufolge doch einen Geheimnisschleier um das Papier gewoben und tatsächlich auch eine der Firmen, die nicht gerade in der Zusammenarbeit mit dem "Enregistrement" glänzen, nominell erwähnt ...
Arbeitsexplosion bei gleich bleibender Personaldecke
Mit dem Tenor des Leitartikels - erst einmal Steuereinnahmen in den Griff bekommen, bevor man von Abstrichen bei den Sozialausgaben spricht - ist der Verwaltungschef aber durchaus einverstanden, wie aus seinen Ausführungen ersichtlich wurde. "Es rettet den Staat zwar nicht, wenn wir es schaffen, die Ausstände an Mehrwertsteuer ein zu treiben - es gibt übrigens auch noch Potenzial bei der Erbschaftssteuer - aber man sollte sich endlich die Mittel dazu geben, dies zu tun", so Bleser, der nicht zum ersten Mal über den Personalmangel in seiner Verwaltung klagte und diesen Zustand in erster Linie dem "fernen Finanzminister" ankreidete.
"Die Arbeit hat sich seit der Öffnung der Grenzen in Europa vervielfacht, die Verwaltung hat zahlreiche neue Steuerzahler kennen gelernt und eine ganz neue Form von Steuerkriminalität. Die Personaldecke ist derweil gleich geblieben", erklärte seinerseits Francis Sandt.
"Actuellement, le manque incontestable de vérificateurs expérimentés et l'insuffisance de mesures de contrôle et moyens de coercition prévus par les dispositions légales et réglementaires en vigueur ne permettent plus de d'effectuer un contrôle adéquat en relation avec la perception de la T.V.A.", heißt es im oben erwähnten Bericht, den Paul Bleser höchstpersönlich an die Presse austeilte, mit dem Vermerk, dass das Papier "gar nicht so geheim sei", und dass solche Analysen eigentlich das nationale Statistikamt machen müsste oder ein anderes Institut, das dazu befugt sei, die Schätzungen in Sachen Mehrwertsteuereinnahmen von der "Pi mal Daumen"-Methode auf eine wissenschaftliche Basis um zu stellen.
So basieren die Erklärungen der "Enregistrement"-Verwaltung zum Rückgang der TVA-Einnahmen auf Erfahrungswerten der Beamten, die ihre Liebe Mühe haben, den riesigen Rechnungsverkehr, der sich aus dem eigentlich simplen TVA-Prinzip ergibt, im Auge zu behalten. Die Mehrwertsteuer ist bekanntlich eine Steuer, die von einem Unternehmer für den von ihm produzierten Mehrwert an die Steuerbehörden abzuführen ist.
Der Unternehmer ist zwar somit Steuerschuldner, darf die Steuer aber in der Wertschöpfungskette im Wege des Vorsteuerabzugs überwälzen und sich somit von der Steuer entlasten, so dass letztlich also der Endverbraucher die TVA beim Erwerb von Gütern und Leistungen trägt.
Laut Enregistrement-Direktor belaufen sich die "Remboursements" auf etwa 910 Millionen €, während die Steuerausstände wesentlich schwieriger zu beziffern sind, da es bei den Einzahlungen oftmals an der Disziplin mangele, so Paul Bleser.
"Notons qu'au 31 août 2005, 43% des assujettis inscrits au Luxembourg ont un solde créancier à l'égard de l'administration. Par contre, 32% des assujettis actifs ont un solde positif envers l'administration", heißt es im Bericht des Enregistrement an den Finanzminister. Interessant ist allemal, dass sich unter den rund 40 000 "assujettis", 700 befinden, die mehr als 100 000 € an Mehrwertsteuerrückerstattung beantragen. Ob diese dann auch die entsprechenden Einzahlungen leisten, ist oftmals eine Frage, die schwierig zu beantworten ist. Das ein ums andere Mal kassiert ein Unternehmen die Vorsteuer zwar, verschwindet dann aber von der Bildfläche, ohne die TVA an den Fiskus abgeführt zu haben.
443 Millionen € Verluste durch Konkurse
Ein System, das den Fiskus in den EU-Mitgliedsländern jährlich Milliarden kostet und dem man nur durch schnelle und adäquate Kontrollen auf die Schliche kommen kann, wie der Enregistrement-Direktor betonte und gleichzeitig ein härteres Vorgehen ankündigte, das den Beamten natürlich mehr Zeit zum Eintreiben von Steuern und Kontrollen abverlangt, zu Ungunsten der Koordinierung der Bekämpfung des Mehrwertsteuerbetrugs auf EU-Ebene. "D'une part, des actions concertées seront organisées en vue d'identifier les assujettis aux excédents de taxe en amont douteux. Et d'autre part, une attitude plus rigoureuse a été adoptée par l'administration dans le recouvrement forcé des arriérés: des amendes fiscales ont été décernées, un bon nombre de dossiers a été proposé pour la liquidation judiciaire, pour d'autres, l'assignation en faillite ou le retrait de l'autorisation de faire le commerce ont été demandés", heißt es in einer Pressemitteilung der Verwaltung, die laut Paul Bleser ebenfalls eingreifen könnte um Insolvenzen zu verhindern. "Wir sind die erste Verwaltung, die feststellen kann, ob sich ein Unternehmen in Schwierigkeiten befindet", so Bleser.
Allein die TVA-Ausfälle aufgrund von Konkursen haben den Staat allein in diesem Jahr bereits über 443 Millionen € gekostet. Und nicht nur das: Die Kunden dieser Unternehmen behalten natürlich ihren Anspruch auf Rückerstattung der Mehrwertsteuer.
Für Mehrarbeit in der Enregistrement-Verwaltung und Einnahmeverluste sorgt ebenfalls die Direktanwendung des 2002 eingeführten superreduzierte Steuersatzes von 3% beim Kauf einer Wohnung oder eines Eigenheims, sowie die spezielle Mehrwertsteuersituation für Dienstleistungen im Finanzsektor und die Rückerstattungen von Mehrwertsteuer auf Treibstoff, die sich besonders im Transportsektor zu relativ hohen Summen auftürmen. Dabei sorgen Ombudsmänner und die europäische Jurisprudenz dafür, dass die "remboursements" schneller von statten gehen als das Inkasso, wie die TVA-Experten zu berichten wussten.
Dass man sich auf Grund dieser Situation so wie der "ferne Finanzminister" überrascht zeige, wenn die Mehrwertsteuereinnahmen fielen, darüber konnte sich der streitbare Direktor der Enregistrement-Verwaltung gestern nur wundern. Zumal er selbst, seit 15 Jahren an der Spitze dieser Verwaltung, ständig auf die existenten und sich anbahnenden Probleme hin gewiesen habe. Der hohe Beamte ist dem Kampf um mehr Mittel für seine Verwaltung nun müde und kündigte an, zum 1. März 2006 seine Pensionsansprüche geltend machen zu wollen und eine späte Karriere als "avocat d'affaires" zu beginnen.
Kaum verändern wird sich derweil wohl die Personaldecke beim "Enregistrement". Budgetminister Luc Frieden sprach bei der Einreichung der Budgetvorlage 2006 von einer personnellen Verstärkung von 15 Beamten ... für die gesamten Steuerverwaltungen. Das "Enregistrement" sieht allein einen Bedarf von 50 neuen Mitarbeitern...